Unsere Reise nach Luang Prabang beginnt mit neun Stunden Busfahrt. Wir werden auf den Sitzen durchgeschuettelt, die Laotin schraeg neben mir uebergibt sich ununterbrochen, eine andere stoehnt vor Uebelkeit, und durch die offene Bustuer wirbelt der rote Strassenstaub. Ich vermumme mein Gesicht und kaempfe gegen den permanenten Hustenreiz. Die Anstrengung lohnt sich: Ausblick in traumhafte Berglandschaften, Einblicke in das urspruengliche Landleben. Frauen duschen sich in ihren Freiluftbadezimmern, Kinder lachen und winken, Hunde, Huehner, Schweine ueberqueren die Strasse und ueberall wird Reis gepflanzt, getrocknet oder gedroschen.
In der Abenddaemmerung kommen wir in Luang Prabang an. Die Hostelsuche ist nicht einfach. Anscheinend wollen viele Asienreisende Weihnachten in der angeblich „schoensten Stadt Asiens“ verbringen. Luang Prabang ist wirklich schoen und auch ich kann mich dem Zauber nicht entziehen. Die Stadt besteht fast nur aus Tempeln und Kloestern, wird vom Mekong umflossen und von Bergen gesaeumt. Alles ist gruen. Filmkulissenreif.
Und dann ist auch schon Weihnachten. Ganz weit weg von Zuhause und ganz anders. Gemeinsam mit Theresa und Ina – zwei Maedels aus Deutschland – mieten wir Mountainbikes, strampeln 35 Kilometer durch die Berge und landen an tuerkis-farbenen Wasserfaellen. Herrlich. Obwohl es kalt ist, springen wir ins Wasser und sind danach mehr als erfrischt. Weihnachten wirkt so abstrakt. Abends „feiern“ wir trotzdem. Sitzen alle zusammen, denken an die Lieben Zuhause, essen Toblerone und trinken Irish Coffee, um uns aufzuwaermen. Dabei kommt sogar bei uns so etwas wie Weihnachtsstimmung auf.
Kaum ist Weihnachten vorbei, erwischt es uns – ein heftiger Magen-Darm-Infekt. Unsere Bustickets fuer die Weiterfahrt verfallen. Wir haengen fast eine Woche in den Seilen beziehungsweise ueber der Kloschuessel. Ich habe Heimweh und finde alles im wahrsten Sinne des Wortes zum Kotzen. Zum Glueck schlaegt das Virus zeitversetzt zu, so dass wir gegenseitig den Krankendienst uebernehmen koennen. Zu Silvester ist die Sache dann ausgestanden. Nach einer Woche sind wir wieder reisefaehig und froh, weiterfahren zu koennen. Endlich!
Bei ihr gibt's die besten Baguettes in ganz Luang Prabang, und es gibt in der Stadt viele Baguettes - wohl ein Relikt aus franzoesischen Kolonialzeiten.
Der Mekong fliesst direkt an der Altstadt vorbei.
Am Mekong-Ufer: Eigentlich wollte uns der kleine Strandverkaeufer Armbaender andrehen. Aber dann entdeckte er Lines Handy, bekam leuchtende Augen und probierte alle Klingeltoene und Spiele aus. Er blieb eine halbe Stunde. Seitdem hat Lines Handy einen Michael-Jackson-Klingelton - den fand der Junge besonders gut.
Sonnenuntergang hinter den Bergen von Luang Prabang.
Typischer Baustil in der Altstadt - dieses Haus ist ein Wohnheim fuer Moenche.
In der Sonne trocknendes Seegras aus dem Mekong...
...das spaeter mit diversen Zutaten gewuerzt und als Snack verkauft wird.
Gegen Abend oeffnen ueberall Suppenkuechen und Essensstaende unter freiem Himmel. Oft im Angebot: So ziemlich alles von Huhn und Hahn...
...zum Beispiel frittierte Fuesse...
...oder frittierte Koepfe. Auch Gehirne, Daerme und andere Innereien stapeln sich auf den Verkaufstellern - diesen Anblick ersparen wir euch aber lieber.
Fahrradtour zu Heiligabend - mehr als 70 Kilometer meist Berg rauf oder runter.
Zwischenstopp an den Kuang-Si-Wasserfaellen...
...die aber weniger fuer ihr fallendes Wasser als vielmehr fuer ihre tuerkisfarbenen Naturpools bekannt sind, in denen auch (teilweise) gebadet werden darf.
Muede aber gluecklich endet Heiligabend mit einem starken Irish Coffee.
Nach drei Monaten erwischt es uns zum ersten Mal richtig. Nicht die Snacks der indischen Strassenverkaeufer, nicht die Fischgerichte der sri lankischen Garkuechen und auch nicht die thailaendischen Delikatessen auf den schummrigen Night Markets machten unseren Maegen bisher Probleme – das schafft erst der Besuch eines schickeren Restaurants im Herzen Luang Prabangs mit seinen teuren Hotels, sauberen Buergerstiegen und weissen Tischtuechern. Tage pendeln wir zwischen Bett und Bad. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt.
Zum Glueck, denke ich, haben wir wenigstens einen Fernseher im Hotelzimmer. Rund 100 verschiedene Sender aus ganz Suedostasien empfaengt das Geraet. Doch was ich zu sehen bekomme, treibt mein Fieber eher nach oben als nach unten. Manchmal bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich schon Wahnbilder oder noch die Realitaet wahrnehme. Dicke Menschen in neon-farbenen Stretchanzuegen tanzen ueber die Mattscheibe. Huehner, die Hurrican oder Terminator heissen, kaempfen vor meinen Augen, jagen sich gegenseitig metallene Dolche in die Koerper, die vorher an ihre Fuesse gebunden wurden. Und ploetzlich bruellt ein Adolf-Hitler-Verschnitt mit Blume im Haar aus den TV-Lautsprechern.
Ich wische mir den Schweiss von der Stirn, mache Beweisbilder, druecke den Aus-Knopf und lasse mich zurueck aufs Kopfkissen fallen. Was war das?
Zwei Mal schalte ich den Fernseher noch ein, schalte wieder ab, kann es nicht ertragen das flimmernde Elend aus billigen Unterhaltungssendungen, banalen Verkaufsshows und blutigen Wettkaempfen. Brot und Spiele fuer die Massen, denke ich, Trash-TV fuer Grenzdebile, in diesem Land, in dem ein Fernseher zur Grundausstattung gehoert – selbst in den einfachsten Huetten. Eigentlich eine Chance: Aber wo sind die Bildungs-, Nachrichten- oder Wissenssendungen fuer die, die sich keine Zeitung leisten koennen, fuer die vielen Analphabeten im Land oder fuer die, die einfach etwas mehr vom Fernsehen erwarten?
Mit Wehmut denke ich an Deutschland, den Oeffentlich-rechtlichen Rundfunk, diese kraftvolle Wissensmaschine, die alle teilhaben laesst. Nicht jede Sendung ist perfekt, klar, aber gerade jetzt, hier in Laos, im Kontrast zum hiesigen Angebot, wird mir klar, was mir fehlt: ordentlicher Journalismus. Langsam schlafe ich ein. Der Fernseher bleibt die naechsten Tage aus.
Hauptsache Schrill: Ein als Frau verkleiderter Mann im Aerobic-Look laesst seine Hueften kreisen und kreischt dabei herum - fertig ist die Nachmittagssendung.
Die Kampfhaehne koennen schon nicht mehr - aber deshalb wird der blutige Kampf noch lange nicht beendet. Der Zuschauer darf miterleben, wie sich die Tiere Stueck fuer Stueck ihr Fleisch aus dem Koerper hacken.
Ich konnte nicht verstehen, was der asiatische Hitler-Imitator in dieser Szene gebruellt hat, aber es liess mir das Blut in den Adern gefrieren.