Die erholsame Reisezeit ist vorbei. Der Karibikaufenthalt hat ein Loch in unsere Geldbeutel gefressen, die Kosten waren höher als gedacht. Jetzt muss ein Ausgleichsprogramm her. Über eine Internetplattform finde ich die Lösung: Ein Farm- und Hotelbetrieb im Bergland von Valle de Bravo, westlich von Mexiko-Stadt, sucht Volontäre. Für die Mitarbeit gibt’s Kost und Logis frei. Nach kurzem Mailverkehr mit den Besitzern steht unsere Entscheidung – Valle de Bravo ist das nächste Reiseziel.
Zwei volle Tage brauchen wir, um mit dem Bus dorthin zu kommen. Aus dem sonnigen Yucatán fahren wir ins regenverhangene Hochland. Ernüchterung macht sich breit. Bei der Ankunft wartet die nächste Überraschung, denn statt, wie vereinbart, die ersten Tage im Hotel in Valle de Bravo mitzuhelfen, werden wir gleich für die Rancharbeit eingeteilt. Das Hotel sei völlig überbucht, sagen die Besitzer, für Volontäre gebe es keinen Platz.
Die Ranch liegt 40 Minuten außerhalb, dort, wo es nur noch Berge und Wiesen gibt. Mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages kommen wir an. Ein kleines einstöckiges Gebäude steht verlassen auf verwildertem Felde, unsere Bleibe, sie wirkt heruntergewirtschaftet. Zwei Hunde bellen, ansonsten ist nichts zu hören. Schlagartig wird die Stille von Brent beendet.
Brent ist ein 19-jähriger, spätpubertierender US-Amerikaner, der von seiner Mutter als Strafe für sein delinquentes Verhalten für drei Wochen auf die Ranch zur Farmarbeit geschickt wurde. Mit ihm teilen wir das Volontärshaus. Brent ist überglücklich, dass unsere Ankunft seinem Einsiedlerdasein ein Ende bereitet. Dafür ist er nämlich so gar nicht geschaffen, wie sich die nächsten Tage herausstellt. Gleich zu Beginn redet er ununterbrochen und weicht die nächsten Stunden nicht von unserer Seite.
Der erste Eindruck bestätigt sich, das Gebäude ist total verwohnt, schmuddelig, es gibt kein warmes Wasser und an den Decken ist Schimmel. Auch gibt es vor dem ewig quasselnden und rauchenden Brent kaum ein Entrinnen. So wollen wir die nächste Zeit nicht verbringen. Als am darauffolgenden Tag die Gastfamilie zu Besuch kommt, bietet sie uns ein anderes Zimmer in einem nah gelegenen, halbfertigen Neubau an. Bei Regen tropft es dort zwar von der Decke und durch den rohen Putz ist alles staubig, aber wir haben etwas Privatsphäre und ein eigenes Bad. Die Küche benutzen wir weiterhin mit Brent.
Die nächste Woche arbeiten wir acht Stunden täglich im Gemüsegarten, beziehungsweise in dem, was davon noch übrig ist. Die Beete sind stark überwuchert und müssen freigelegt, umgegraben, mit neuer Erde aufgeschüttet und bepflanzt werden. Arbeitshandschuhe oder funktionierende Werkzeuge gibt’s nicht – uns bleiben nur eine unscharfe Sichel, eine Schubkarre mit Plattem und eine Schaufel, deren Stiel abzubrechen droht.
Rosio, eine Mexikanerin, die schon seit fünfzehn Jahren auf der Ranch arbeitet, hat das Kommando und unterweist uns täglich in den Aufgaben. Die Kommunikation ist teilweise schwierig, da sie einen starken Dialekt spricht und grundsätzlich das Gesagte immer in der gleichen Art und Weise wiederholt. Wir kommen trotzdem klar. Am ersten Tag tut mir vom langen Knien alles weh und meine Finger sind aufgerissen. Uwe schimpft über das sinnlose Unterfangen, das Gras mit einer Sichel abzusäbeln, anstatt den Rasenmäher zum Einsatz zu bringen, der kaputt in der Ecke steht.
Am zweiten Tag sehe ich eine Giftschlange neben mir durchs Beet schlängeln und greife von dortan nicht mehr so unbedarft ins Gras. Rosio erschrickt und sagt, man müsse mit den Tieren sehr aufpassen, denn Gegengift gebe es hier weit und breit nicht.
So hart die Arbeit auch ist, mir gefällt es nach den Anfangsschwierigkeiten richtig gut. Die Landschaft ist wunderschön, aus unserem Zimmerfenster haben wir einen herrlichen Blick auf Weiden und Berge, es gibt viele Pferde, die gerade Fohlen haben, und täglich essen wir frische Eier, die wir aus dem Hühnerstall sammeln. Die drei Farmhunde haben Uwe und mich nach kürzester Zeit als ihre Herrchen auserkoren und begleiten uns auf Schritt und Tritt. Abends schwebt ein Meer von Glühwürmchen über die Wiesen. Ab und zu gibt es heftige Gewitter, bei denen es scheint, als würde die Welt untergehen.
Und als Krönung gibt es wunderbares Essen. Die Gastfamilie hat uns zu Beginn der Woche mit viel Obst, Gemüse, Käse, Brot und anderen Köstlichkeiten versorgt. In der super ausgestatteten Küche kochen wir täglich unsere Mahlzeiten – nach den vielen Quesadillas, Tacos und Tortillas eine wilkommene Ablenkung. Und auch Brent hat durchaus Unterhaltungswert. Er weigert sich grundsätzlich zu arbeiten, unternimmt Spritztouren mit einem Moped, das nicht ihm gehört, kifft, duscht nicht und spricht konsequent mit allen mexikanischen Farmarbeitern englisch, auch wenn ihn keiner versteht. Damit sorgt er hier richtig für Aufregung.
Am Ende der Woche, haben wir fast den kompletten Gemüsegarten umgepflügt und bepflanzt. Und auch Brent mag ich mittlerweile. Rosio lobt unsere Arbeit und auch die Gastfamilie ist zufrieden. Uns tut alles weh, das gebückte Abeiten hat seine Spuren hinterlassen. Nach wie vor gibt es, trotz Versprechungen, keine ordentlichen Werkzeuge oder Abeitshandschuhe. Spontan entscheiden wir: das war genug Landluft. Wir wollen mehr von Mexico sehen und die letzten Tage am Meer verbringen. Beim Abschied bin ich trotzdem wehmütig, nach einer Woche habe ich alles hier ins Herz geschlossen.
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