Schon lange stand Guatemala auf meiner Reiseliste ganz oben. Spanisch lernen, die Menschen und die Kultur kennenlernen und das Lebensgefühl geniessen. Jetzt endlich bin ich hier. Aufregend! Direkt vom Flughafen fahren wir mit einem kleinen Bus nach Antigua, eine alte Kolonialstadt, die nur rund eine Stunde von der Hauptstadt Guatemala-Ciudad entfernt ist. Uwe ist vom Flair und dem Lebensgefühl noch nicht so überzeugt wie ich. Zuviele Geschichten von Gewalt, Mord und Kriminalität hat er gelesen. Er sitzt neben mir und beäugt skeptisch die vorbeifliegende Landschaft.
Zwei Tage später kommen wir an unserem eigentlichen Ziel, San Pedro la Laguna, an. Das Städtchen liegt auf 1500 Meter Höhe am Atitlansee am Fuß eines Vulkans. Der Blick in die umgliegenden Berge ist traumhaft. Hier gibt es viele Hostels, Bars und Restaurants, die Einheimischen sind total freundlich und wir finden schnell Anschluss zu anderen Backpackern. Viele Reisende sind hier hängen geblieben, haben eigene Geschäfte eröffnet oder geniessen einfach als Dauergäste das Hippie-Leben im Ort.
Hier wollen wir Spanisch lernen und uns akklimatisieren. Wenige Tage nach der Ankunft sind wir auch schon das erste Mal in der Spanischschule. So wie in einer Schule ist es allerdings gar nicht: Wir sitzen in einem wunderschönen Garten mit Blick auf Berge und See und bekommen täglich vier Stunden Einzelunterricht. Warum war Schule je anders? Meine Lehrerin heißt Letty und ihr ist daran gelegen, mir so viele Grammatikregeln wie nur möglich mit auf den Weg zu geben. Daneben erzählt sie mir ihre Lebensgeschichte und ihren Kummer über den davongelaufenen Ehemann. Keine Seltenheit hier, wie sich im Verlauf unserer Zeit herausstellt.
Mit Beginn des Spanischunterrichts ziehen wir in eine Gastfamilie ein, um das Gelernte gleich anwenden zu können. Die nächsten Wochen verbringen wir bei Hector und Flori. Sie wohnen mit ihren zwei Kindern in einem Haus nahe am See. Aus unserem Zimmer haben wir einen herrlichen Blick auf das Wasser und die Berge. Das entschädigt für die mittelalterlichen Sanitäranlagen, die in kleinen Verschlägen im Hof stehen und von fünf Familien genutzt werden. Die insgesamt fünf Familien, die hier leben, sind irgendwie mit unserem Gastvater verwandt. Wie genau, verstehen wir bis heute nicht, nur, dass es fünf Personen gibt, die Hector heissen.
Flori bekocht uns jeden Tag mit typischen guatemaltekischen Gerichten. Tortillas, Bohnen, Reis, Eier – mir schmeckt es richtig gut. Im Zimmer nebenan wohnt eine andere Sprachschülern aus Schottland – Scharon. Eine lebenslustige Reisende, die hier ihre Zeit überbrückt, während sie auf ein Arbeitsvisum für Kanada wartet. Die ersten Tage kommunizieren wir mit der Familie fast nur mit Händen und Füssen, da keiner von uns Spanisch spricht.
So fliegen unsere Tage vorbei. Es tut so gut eine Routine zu haben. Jeden Morgen gehen wir in die Sprachschule, nach dem Mittagessen werden die Hausaufgaben gemacht und abends geht’s zum Konversationskurs. Nach dem Abendessen gehen wir mit Sharon und anderen Sprachschülern oft noch irgendwo was trinken. Nach so vielen Monaten auf Reise bin ich richtig wissensdurstig und sauge die neue Sprache auf wie ein Schwamm. Ein Lehrerwechsel nach zwei Wochen bringt mich noch mehr nach vorne. Ich lerne fortan mit Antonio, einem 25-jährigen Guatemalteken. Der Unterricht ist lustig und ich lerne neben der Sprache viel über die kulturellen Unterschiede.
Ein besonderes Highlight ist die Woche vor Ostern, die sogenannte „Semana Santa“ – sieben Tage lang herrscht hier Ausnahmezustand. Die Kinder haben Ferien. Die Einwohnerzahl verdoppelt sich wegen der vielen Touristen. Fast täglich gibt es im Dorfzentrum katholische Prozessionen. Die beeindruckenste Prozession ist am Karfreitag. Überall in der Stadt sind Blumenteppiche ausgelegt, über die die Prozession läuft. Abends folgt in den Bars das Kontrastprogramm zur religiösen Andächtigkeit. Laute Bässe wummern, ganz San Pedro feiert, und wir feiern mit.
Auch in der Familie wird die Osterwoche gefeiert, obwohl niemand katholisch ist. Flori bekocht uns täglich mit neuen Osterspezialitäten. Süsse Bohnen, Osterbrot, heisse Schokolade oder Fisch. Es ist schön, alles so hautnah miterleben zu können. Nach fünf Wochen spreche ich schon etwas Spanisch, wir kennen halb San Pedro und fühlen uns ein bisschen wie zu Hause. Doch die Füsse fangen langsam wieder an zu jucken, bald ist es Zeit aufzubrechen. In gut einer Woche geht es weiter.
Blick auf den Atitlansee von unserem Zimmer aus. Einige der bis zu 3000 Meter hohen Berge am Wasser sind alte, nicht mehr aktive Vulkane.
Da oben, in der ersten Etage, ist unser Gästezimmer. Dank der riesigen Glasfront haben wir immer einen perfekten Rundumblick auf San Pedro.
Bobby gehört auch zur Familie - wenn wir von der Schule zurückkommen, begrüßt er uns schon an der Pforte und will gestreichelt werden.
Die Familie der Schwester unseres Gastvaters lebt direkt unter uns. Der jüngste (links) von insgesamt vier Hectors gehört zu dieser Familie. Insgesamt leben rund 30 Personen in sechs verschiedenen Wohnungen auf dem Gelände.
Gastmutter Flori zeigt Line, wie in San Pedro traditionell gekocht wird.
Abendessen mit den Gasteltern Flori und Hector (der älteste) bei Kerzenschein - immer mal wieder fällt der Strom aus. Es gibt Frijoles (eingelegte schwarze Bohnen) mit frischem Käse und warmen Tortillas.
Blick in den Innenhof.
Unser Badezimmer.
Rund zehn Minuten entfernt liegt die Sprachschule. In kleinen Gartenpavillons nahe am Wasser haben wir jeden Vormittag vier Stunden lang Einzelunterricht...
...mit unseren Lehrern Luis...
...und Antonio.
Die Menschen in San Pedro La Laguna sind sehr religiös. Höhepunkt für die Katholiken im Ort ist die Woche vor Ostern, die "Semana Santa", in der sie die Straßen mit aufwendigen Blumenteppichen dekorieren...
...die aus Tausenden von Blütenblättern gestreut werden...
...und über die stundenlang verschiedene Kreuze getragen werden...
...bis nicht mehr viel übrig ist vom Blumenschmuck.
Zu einer ganz anderen Party hat uns Angelika eingeladen. Sie war die Rezeptionistin in unserem ersten Hotel (bevor wir zur Familie zogen). Eines Tages nahm sie uns mit zu sich nach Hause, wo ihre Tochter (im goldenen Kleid) Geburtstag feierte. Dort wurden wir herzlich empfangen - mit Kuchen und traditionellen Tamales (herzhafte Maistaschen). Wir waren die Attraktion auf der Feier und hatten viel Spaß.
Wichtigster Verkehrsknotenpunkt in San Pedro ist der Fähranleger. Wer kommt oder geht nimmt in der Regel das Boot, denn die Straßen rund um den See sind meist in desaströsem Zustand und nicht immer ungefährlich...
...und dass sich am Bootsanleger alle ordentlich benehmen, dafür sorgt der Sicherheitsmann, mit dem nicht zu scherzen ist.
Direkt am Fähranlager haben wir auch diese Kuriosität entdeckt: Einen Käfer mit Bremer Nummernschild. Wie wir herausfanden, gehört der Wagen einem einheimischen Barbesitzer, der Verwandte in Norddeutschland hat, über die er das Auto gekauft hat. Wie es der Käfer dann bis hierher, in den hintersten Winkel Guatemalas geschafft hat, wusste er allerdings selbst nicht mehr so genau.