Ranch
23 JulDie erholsame Reisezeit ist vorbei. Der Karibikaufenthalt hat ein Loch in unsere Geldbeutel gefressen, die Kosten waren höher als gedacht. Jetzt muss ein Ausgleichsprogramm her. Über eine Internetplattform finde ich die Lösung: Ein Farm- und Hotelbetrieb im Bergland von Valle de Bravo, westlich von Mexiko-Stadt, sucht Volontäre. Für die Mitarbeit gibt’s Kost und Logis frei. Nach kurzem Mailverkehr mit den Besitzern steht unsere Entscheidung – Valle de Bravo ist das nächste Reiseziel.
Zwei volle Tage brauchen wir, um mit dem Bus dorthin zu kommen. Aus dem sonnigen Yucatán fahren wir ins regenverhangene Hochland. Ernüchterung macht sich breit. Bei der Ankunft wartet die nächste Überraschung, denn statt, wie vereinbart, die ersten Tage im Hotel in Valle de Bravo mitzuhelfen, werden wir gleich für die Rancharbeit eingeteilt. Das Hotel sei völlig überbucht, sagen die Besitzer, für Volontäre gebe es keinen Platz.
Die Ranch liegt 40 Minuten außerhalb, dort, wo es nur noch Berge und Wiesen gibt. Mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages kommen wir an. Ein kleines einstöckiges Gebäude steht verlassen auf verwildertem Felde, unsere Bleibe, sie wirkt heruntergewirtschaftet. Zwei Hunde bellen, ansonsten ist nichts zu hören. Schlagartig wird die Stille von Brent beendet.
Brent ist ein 19-jähriger, spätpubertierender US-Amerikaner, der von seiner Mutter als Strafe für sein delinquentes Verhalten für drei Wochen auf die Ranch zur Farmarbeit geschickt wurde. Mit ihm teilen wir das Volontärshaus. Brent ist überglücklich, dass unsere Ankunft seinem Einsiedlerdasein ein Ende bereitet. Dafür ist er nämlich so gar nicht geschaffen, wie sich die nächsten Tage herausstellt. Gleich zu Beginn redet er ununterbrochen und weicht die nächsten Stunden nicht von unserer Seite.
Der erste Eindruck bestätigt sich, das Gebäude ist total verwohnt, schmuddelig, es gibt kein warmes Wasser und an den Decken ist Schimmel. Auch gibt es vor dem ewig quasselnden und rauchenden Brent kaum ein Entrinnen. So wollen wir die nächste Zeit nicht verbringen. Als am darauffolgenden Tag die Gastfamilie zu Besuch kommt, bietet sie uns ein anderes Zimmer in einem nah gelegenen, halbfertigen Neubau an. Bei Regen tropft es dort zwar von der Decke und durch den rohen Putz ist alles staubig, aber wir haben etwas Privatsphäre und ein eigenes Bad. Die Küche benutzen wir weiterhin mit Brent.
Die nächste Woche arbeiten wir acht Stunden täglich im Gemüsegarten, beziehungsweise in dem, was davon noch übrig ist. Die Beete sind stark überwuchert und müssen freigelegt, umgegraben, mit neuer Erde aufgeschüttet und bepflanzt werden. Arbeitshandschuhe oder funktionierende Werkzeuge gibt’s nicht – uns bleiben nur eine unscharfe Sichel, eine Schubkarre mit Plattem und eine Schaufel, deren Stiel abzubrechen droht.
Rosio, eine Mexikanerin, die schon seit fünfzehn Jahren auf der Ranch arbeitet, hat das Kommando und unterweist uns täglich in den Aufgaben. Die Kommunikation ist teilweise schwierig, da sie einen starken Dialekt spricht und grundsätzlich das Gesagte immer in der gleichen Art und Weise wiederholt. Wir kommen trotzdem klar. Am ersten Tag tut mir vom langen Knien alles weh und meine Finger sind aufgerissen. Uwe schimpft über das sinnlose Unterfangen, das Gras mit einer Sichel abzusäbeln, anstatt den Rasenmäher zum Einsatz zu bringen, der kaputt in der Ecke steht.
Am zweiten Tag sehe ich eine Giftschlange neben mir durchs Beet schlängeln und greife von dortan nicht mehr so unbedarft ins Gras. Rosio erschrickt und sagt, man müsse mit den Tieren sehr aufpassen, denn Gegengift gebe es hier weit und breit nicht.
So hart die Arbeit auch ist, mir gefällt es nach den Anfangsschwierigkeiten richtig gut. Die Landschaft ist wunderschön, aus unserem Zimmerfenster haben wir einen herrlichen Blick auf Weiden und Berge, es gibt viele Pferde, die gerade Fohlen haben, und täglich essen wir frische Eier, die wir aus dem Hühnerstall sammeln. Die drei Farmhunde haben Uwe und mich nach kürzester Zeit als ihre Herrchen auserkoren und begleiten uns auf Schritt und Tritt. Abends schwebt ein Meer von Glühwürmchen über die Wiesen. Ab und zu gibt es heftige Gewitter, bei denen es scheint, als würde die Welt untergehen.
Und als Krönung gibt es wunderbares Essen. Die Gastfamilie hat uns zu Beginn der Woche mit viel Obst, Gemüse, Käse, Brot und anderen Köstlichkeiten versorgt. In der super ausgestatteten Küche kochen wir täglich unsere Mahlzeiten – nach den vielen Quesadillas, Tacos und Tortillas eine wilkommene Ablenkung. Und auch Brent hat durchaus Unterhaltungswert. Er weigert sich grundsätzlich zu arbeiten, unternimmt Spritztouren mit einem Moped, das nicht ihm gehört, kifft, duscht nicht und spricht konsequent mit allen mexikanischen Farmarbeitern englisch, auch wenn ihn keiner versteht. Damit sorgt er hier richtig für Aufregung.
Am Ende der Woche, haben wir fast den kompletten Gemüsegarten umgepflügt und bepflanzt. Und auch Brent mag ich mittlerweile. Rosio lobt unsere Arbeit und auch die Gastfamilie ist zufrieden. Uns tut alles weh, das gebückte Abeiten hat seine Spuren hinterlassen. Nach wie vor gibt es, trotz Versprechungen, keine ordentlichen Werkzeuge oder Abeitshandschuhe. Spontan entscheiden wir: das war genug Landluft. Wir wollen mehr von Mexico sehen und die letzten Tage am Meer verbringen. Beim Abschied bin ich trotzdem wehmütig, nach einer Woche habe ich alles hier ins Herz geschlossen.
You better Belize it!
27 Jun„… Tropical the island breeze, all of nature, wild and free, this is where I long to be – La isla bonita…“.
Das singt Madonna über eine der vielen Inseln, die vor Belize an der Küste liegen und hier Cayes genannt werden. Genau dort wollen wir hin. Naja, fast genau. Da die besungene Caye Ambergris mittlerweile wegen des Massentourismus dem Inseltraum nicht mehr ganz entspricht, entscheiden wir uns für die wesentlich untouristischere und kleinere Nachbarinsel, die Caye Caulker. Eine ursprüngliche Fischerinsel mit Mangrovenwäldern, ungeteerten Strassen und ohne Autoverkehr.
„… I want to be where the sun warms the sky, when it´s time for siesta you can watch them go by, beautiful faces, no cares in this world, where a girl loves a boy and a boy loves a girl…“
Bei der Ankunft werden wir im typischen Insel-Slang begrüßt: „Yo man, welcome to Belize!“ Rastamänner, Palmen, Sonne und der Geruch von Marihuana, ein absolutes Karibikklischee. Das noch eben bereiste Guatemala liegt gefühlte tausend Kilometer entfernt.
„…And when the samba played, the sun would set so high, ring trough my ears and sting my eyes, your spanisch lullaby…“
In den kommenden Tagen genießen wir das Insel-Feeling und machen eine „Unda de Wadda Tour“ – eine Schnorcheltour zu verschiedenen Riffen in der Umgebung. Unser Guide heißt Marph und bezeichnet sich selbst als „da Best“. Marph hat uns nicht zu viel versprochen. Dank ihm sehen wir Meeresschildkröten, Ammenhaie, riesige Rochen und wunderschöne Korallen. Es ist „marphellous“ oder“unbelizable“ wie die Insulaner jetzt sagen würden. Mit Madonna im Ohr und unvergesslichen Bildern im Kopf reisen wir ein paar Tage später weiter.
„…I prayed that the days would last, they went so fast,… la Isla bonita…“
Haarige Mitbewohnerin
24 JunMit meiner Taschenlampe bahne ich mir den Weg durch unser Hotelzimmer in Guatemala, es ist zwei Uhr nachts, meine Blase drückt. Im Halbschlaf ziehe ich die knarrende Tür zum Badezimmer auf, langsam, um Line nicht zu wecken, plötzlich erschrecke ich, springe rückwärts aus dem Bad, verdammt, was war das? Habe ich im Schein der Lampe gerade eine Vogelspinne gesehen?
Line wacht auf, ich erkläre ihr, was ich glaube gesehen zu haben. „Krass“, sagt sie, dreht sich um und schläft weiter. Ich kann nicht schlafen, nicht nach diesem Erlebnis, ich will wissen, was in unseren vier Wänden lebt, außerdem drückt meine Blase. Ich mache das Deckenlicht an… und sehe… nichts. Keine Spur von einer Spinne oder etwas Ähnlichem. Erleichtert schlafe ich wenig später ein.
In der nächsten Nacht sehe ich das Tier wieder, fast an der selben Stelle, diesmal greife ich zum Fotoapparat und mache Bilder. Dann krabbelt die lichtscheue Kreatur hinter die Waschbecken-Verkleidung, wo sie scheinbar lebt. Uns schaudert es, ab sofort machen wir es so: Licht an, zwei Minuten warten, erst dann ins Bad. Die haarige Mitbewohnerin sehen wir nicht mehr wieder.
Körperstrafen
23 JunWir trauen unseren Augen kaum, denn was das Revolverblättchen „Nuestro Diario“ an diesem Tag als Aufmacher präsentiert, das hätten wir in Guatemala nicht für möglich gehalten, wo wir uns seit ein paar Tagen wieder aufhalten. Ein junger Mann steht mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einem öffentlichen Platz, sein Oberkörper ist nackt. Ein Peitschenhieb trifft ihn. Wie bei einer Straßentheater-Aufführung stehen Kinder und Greise, Frauen und Männer pulkartig um das Schauspiel herum – einige fotografieren, andere filmen.
Doch die Vorführung ist kein Spiel, die Bestrafung ist real. 20 Peitschenhiebe treffen den jungen Dieb, so hat es die Gemeinschaft kurz zuvor beschlossen. Hühner und Bargeld soll er in der Nachbarschaft gestohlen haben, zusammen mit zwei Komplizen, die am Rande des Platzes stehen und als nächste dran sind. Auch eine Frau ist dabei. Auge um Auge, Zahn um Zahn – diesem uralten Gerechtigkeitsprinzip folgt das Strafritual, bei dem die Bestohlenen selbst die Peitsche schwingen dürfen.
Selbstjustiz in Guatemala ist keine Seltenheit, lesen wir im Internet. Überall dort, wo der Staat nicht mehr präsent ist, sich nicht mehr um Gesetz und Gerechtigkeit kümmert, nehmen die Bürger das Recht in die eigenen Hände. Und das ist immer häufiger der Fall. Eine Entwicklung, die hin und wieder auch zu Lynchmorden und krassen Verhaltensregeln führt. So soll in einigen Dörfern Guatemalas mittlerweile das Tragen langer Haare (bei Männern) oder sichtbarer Tätowierungen unter Strafe stehen.
Eine Entwicklung, die auch zu dem passt, was wir selbst mitbekamen, als wir sechs Wochen bei einer Familie in San Pedro La Laguna lebten. Dorfangelegenheiten werden intern geregelt, hörten wir die Leute sagen, nur selten erfuhren wir, was sie damit meinten. Es gab eine Art Bürgerwehr, die mit Einbruch der Dunkelheit in den Straßen patroullierte, Leute nach Belieben anhielt und kontrollierte. Touristen wurden meist in Ruhe gelassen.
Ein Spanischlehrer erzählte uns von einer Vergewaltigung. Im Dorf einigte man sich auf eine Wiedergutmachungszahlung und den Umzug des Täters an einen anderen Ort. Die Polizei erfuhr nie davon. Und dann waren da noch die toten Männer, die mit gespaltenem Schädel im See gefunden wurden, zwei Monate vor unserer Ankunft. Das war sogar in der Presse zu lesen. Eine Angelegenheit unter Einheimischen, hörten wir, die Getöteten seien „locos“ gewesen, Verrückte, die nur Ärger machten, nichts, worüber wir uns Gedanken machen müssten.
Costa Rica
16 JunNebelschwaden ziehen über den schmalen Weg, der durch den dichten Regenwald führt. Riesige Baumfarne, Moose, Lianen und Würgebäume umgeben uns. Im Unterholz knackt es, man hört exotische Vogelstimmen und überall rieselt, plätschert und tropft es. Ab und zu fliegen Kolibris und bunte Schmetterlinge vorüber. In der Ferne hören wir Affengeschrei – eine einzigartige Atmosphäre.
Eigentlich wollten wir nicht nach Costa Rica kommen, viele Reisende haben uns davon abgeraten: zu teuer, zu touristisch, zu wenig ursprünglich. Zum Glück haben wir nicht auf sie gehört. Schon nach wenigen Tagen habe ich mich in Costa Rica verliebt. Das Reisen ist so unkompliziert, die Hostels sind schön, die Natur ist überwältigend. Und das Beste daran ist, daß wir alles auf eigene Faust erkunden können. Eine Seltenheit in Zentralamerika. In jedem Park gibt es Wanderwege, Karten und eine faszinierende Tier- und Pflanzenwelt.
Der Nebelwald von Monteverde ist nur ein Höhepunkt unserer Reise. Jeden Tag werde ich aufs Neue überrascht. Wir baden in einem heißen Fluss am Fuße eines Vulkans, wandern an brodelnden Schwefelquellen vorbei und spielen Tarzan und Jane, indem wir uns an Drahtseilen befestigt durch den Regenwald schwingen. Genießen das Reggae-Feeling an der Karibik, werden von Brüllaffen geweckt, bestaunen Faultierbabies in einer Tierrettungsstation, sehen fette Krokodile auf Sandbänken chillen, beobachten Waschbären, Schildkröten, Tukane, bunte Schmetterlinge und unzählige Affen, die mindestens genauso neugierig sind wie wir.
Nach zwei Wochen sehen wir San José, die Hauptstadt Costa Ricas, aus dem Flugzeug unter Wolken verschwinden. Die Zeit ist viel zu schnell vergangen, doch länger hätte unser Budget nicht gereicht. Während die Maschine immer mehr an Höhe gewinnt und sich unter mir die Wolkendecke vollständig schließt, weiß ich eines ganz sicher: Ich komme wieder!
Nicaragua
30 MaiZwei Tage lang flogen El Salvador und Honduras an unserem Busfenster vorbei. Alle hatten ein bißchen Angst. Immer wieder wurden auf dieser Strecke Busse überfallen, ausgeraubt und angezündet. Draußen sahen wir Hunde, Klappergestelle, die unter Palmen im Müll nach Essbarem suchten, neben ihnen andere Hunde, tot, an deren Eingeweiden die Geier zupften. Bilder wie aus einem schlechten Westernfilm.
Nirgendwo in Zentralamerika gibt es mehr Probleme mit Armut, Drogen und Kriminalität als hier, im gefühlten Niemandsland zwischen Guatemala und Nicaragua, hier, wo selbst erfahrene Reisende meist nicht länger bleiben als notwendig. Wann immer es ging, drückte unser Busfahrer das Gaspedal bis zum Anschlag. 100 Stundenkilometer in Städten und Dörfern, 120 außerhalb. Bloß nicht anhalten. Bloß nicht gestoppt werden von einer der zahlreichen Banden.
Müde und unbeschadet kommen wir in Nicaragua an. Unser erstes Ziel ist Granada, eine alte Kolonialstadt im Herzen des Landes, in der spanische Architektur auf lateinamerikanische Gelassenheit trifft. 35 Grad im Schatten, Beginn der Regenzeit, hohe Luftfeuchtigkeit, der Schweiß läuft uns am ganzen Körper. Wir sind so weit in den Süden gefahren, um in einem Hilfsprojekt mitzuarbeiten. Eines der wenigen Projekte, in dem nicht gezahlt werden muss, um mitarbeiten zu dürfen. Nebenbei eine gute Gelegenheit, unser Spanisch zu verbessern, dachten wir. Doch wie so oft kommt es anders.
Mit unserer Ankunft in Nicaragua antwortet der Projektleiter nicht mehr auf unsere E-Mails, und Fragen bleiben unbeantwortet. Wir treffen zufällig einen Australier, der gerade aus eben diesem Projekt kommt und Schauergeschichten erzählt. Er spricht von schmutzigen Unterkünften, handgrossen Tarantulas und aggressiven Skorpionen, die nachts in die Häuser krabbeln. Außerdem gebe es Spannungen unter den Volontären.
Wir wollen uns selbst ein Bild machen und besuchen das Projekt, das etwas außerhalb von Granada liegt. Der Koordinator ist entgegen unseren Erwartungen sehr nett. Er nimmt sich viel Zeit, zeigt uns das Gelände und die Arbeitsbereiche, die mitten im Wald liegen. Aber leider bestätigen sich die Berichte des Australiers – wir bekommen schmuddelige, enge Mehrbettzimmer zu sehen, die keinen Raum für Privatssphäre lassen und so luftig gebaut sind, daß Krabbeltiere jeder Größe ungehindert ihren Weg ins Innere finden.
Hier halten wir es keine drei Monate aus, das wissen wir sofort, zumal es kaum etwas außenrum gibt. Deshalb schlagen wir vor, in Granada wohnen zu bleiben und täglich mit dem Fahrrad zum Projekt zu pendeln. Der Vorschlag scheitert daran, dass laut Koordinator jeden Abend verpflichtende Volontärstreffen stattfinden, es aber abends, wenn es dunkel ist, zum Radfahren zu gefährlich ist. Außerdem sieht er das Wohnen ausserhalb des Projekts nicht gerne. Schweren Herzens entscheiden wir uns gegen das Projekt.
Dafür lernen wir im Hostel Miriam und Eduardo aus Würzburg kennen. Die nächsten Tage reisen wir zusammen. Es ist schön, in guter Gesellschaft zu sein. Es geht zur „Isla Ometepe“, einer Vulkaninsel im Nicaraguasee mit beeindruckender Natur, mit Brüllaffen und exotischen Vögeln, die sich jeden Morgen einen Spaß daraus machen, den Touristen das Frühstück vom Teller zu klauen. Unser Zimmer teilen wir unterdessen mit zahlreichen Geckos, die an den Wänden laufen, Mücken jagen und nach getaner Arbeit ein Böpelchen zu Boden fallen lassen, manchmal auch auf unser Bett.
Wir verbringen entspannte Tage auf Ometepe und lernen andere Reisende kennen, mit denen wir die Insel erkunden und bei Sonnenuntergang am Strand sitzen. Es ist erfrischend, über den üblichen Traveller-Smalltalk (Wo kommt ihr her? Wo wollt ihr hin? Wo ist es schön?) hinauszukommen und richtige Gespräche zu führen. Wir alle haben unterschiedliche Reisepläne, feiern mehrmals Abschied und bleiben dann doch zusammen oder treffen uns zufällig irgendwo an einem anderen Ort in Nicaragua wieder.
Nächster Stopp ist „San Juan del Sur“, ein vor allem bei US-Amerikanern beliebtes Surfer-Städchen im Südwesten Nicaraguas, direkt am Pazifik. Hohe Wellen und niedrige Preise ziehen Touristen an diesen Ort. Von unserem Hostel haben wir einen herrlichen Blick über die Bucht. Wir relaxen in Hängematten, bräunen am Strand und starten unsere ersten Surfversuche mit Bodyboards. Es macht riesig Spaß. Nach ein paar Tagen trennen sich unsere Wege dann endgültig – als Miriam und Eduardo Richtung Karibik abreisen, ist es fast ein bißchen komisch, wieder zu zweit zu sein.
Alltäglicher Wahnsinn
30 AprEins vorweg: Von der weit verbreiteten Kriminalität im Land haben wir selbst noch nichts mitbekommen. Guatemala, wie es sich uns präsentiert, ist friedlich und entspannt. Selten waren wir von so warmherzigen, gastfreundlichen, tollen Menschen umgeben wie hier, in San Pedro La Laguna, dem kleinen Bergdorf mit der großen Maya-Kultur, in dem Backpacker, Einheimische und Aussteiger wie eine offene Patchwork-Familie zusammen leben.
Und doch gibt es ihn, den alltäglichen Wahnsinn, per Tageszeitung erreicht er uns Tag für Tag aus dem Rest des Landes. Überfälle, Vergewaltigungen, Auftragsmorde – die meisten Horrormeldungen kommen aus der Hauptstadt (Guatemala-Ciudad), die gerade einmal 150 Kilometer von San Pedro entfernt liegt und zu den gefährlichsten Orten der Welt gehört. Rund 4000 Menschen werden hier jedes Jahr ermordet. Zum Vergleich: Im etwa gleich großen Berlin sind es rund 40 Morde pro Jahr.
Jeden Tag gehe ich mit meinem Spanischlehrer die Tageszeitung durch und bin schockiert. Vor allem darüber, in welchem Ausmaß Straßenräuber, Jugendbanden und Drogenschmuggler im ganzen Land operieren, in welchem Ausmaß der Staat versagt und schlimmer noch, in welchem Ausmaß Politiker und Polizisten selbst in kriminelle Machenschaften verwickelt sind. Die korrupte Staatsmacht gilt als eins der größten Übel in Guatemala.
Umso mehr schätze ich die Arbeit der hiesigen Journalisten, die in dieser explosiven Umgebung kritisch und hartnäckig über die Probleme des Landes berichten. Irritiert hat mich allerdings, wie in den Zeitungen mit den Verdächtigen umgegangen wird. Mit vollem Namen und unverpixelt werden sie (landesweit) präsentiert – das kommt einem modernen Pranger gleich und wäre so in Deutschland niemals möglich.
Hier eine kleine Auswahl der letzten Tage (Quelle: Prensa Libre):