Weit weg von Zuhause bekommen wir Besuch. Relativ kurzfristig hat sich Alina, nach einem ihrer Geigenkonzerte in Bangkok, einen Flug nach Saigon gebucht. Wir haben vier Tage zusammen in dieser verrückten Stadt. Herrlich!
Es ist so schön, ein vertrautes Gesicht zu sehen und einfach drauflos quatschen zu können. Während sich Uwe die Stadt anguckt, verbringen wir den größten Teil der Zeit mit Kaffee trinken und reden. In den Gesprächen wird mir Vieles klar, ich bekomme neuen Input und meine Reiselust, die irgendwo in Vietnam auf der Strecke geblieben ist, kehrt zurück.
Alina bringt ein riesiges Paket von Zuhause mit: Vollkornbrot, Haribo, Lakritze, Schokolade, Briefe von den Liebsten und ein Netbook. Es ist wie Weihnachten und Geburtstag in einem.
Die Zeit vergeht wie im Flug, nach vier viel zu kurzen Tagen heisst es schon Abschiednehmen. Alinas Besuch hat mich inspiriert und so starte ich ganz erfüllt nach Kambodscha. Mir wird wieder einmal klar, wie schön es ist, eine so tolle Freundin zu haben. Ein Hoch auf die Freundschaft!
Saigon – wie habe ich mich auf diese Stadt voll von Geschichte und Geschichten gefreut. Auf diesen Ort, der seit der Machtergreifung kommunistischer Truppen Ho-Chi-Minh-Stadt heisst, der im Vietnamkrieg als letzte Stätte amerikanischer Fremdherrschaft fiel, und von dem vor allem die verwackelten Schwarzweiß-Bilder der US-Hubschrauber in Erinnerung bleiben, die in letzter Sekunde das Personal vom Dach der amerikanischen Botschaft ausflogen.
Die Stadt selbst hat wenig zu bieten. Viele vergilbte Zweckbauten, wenige historische Häuser, das meiste hat der Krieg zerstört. Dafür gibt es viele Museen (zu viele für vier Tage) und ein paar wenige Orte, an denen die Geschichte noch greifbar ist. Die US-Botschaft gehoert nicht dazu, die wurde abgerissen.
Immer wieder frage ich mich, was die Vietnamesen über die Amerikaner denken, von denen sich noch heute einige wie kleine Könige aufspielen, laut, selbstsicher, stolz. Immer wieder sehe ich, wie ältere Herren und Damen mit US-Emblem an Jacke oder Baseballkappe durch das zerstörte Saigon stapfen, sichtlich frei von Betroffenheit, wie sie Kellner in ihrem breiten Amerikanisch heranzitieren, um einen Blick in die Speisekarte zu werfen. Den Umstand, die eine oder andere vietnamesische Begrüßungsfloskel zu lernen, haben sie sich meist nicht gemacht.
Nach dem Besuch des bekanntesten Museums in der Stadt, des Kriegsrelikte-Museums, gehe ich ein paar Meter zu Fuss, versuche die Bilder und Geschichten zu verstehen, einzuordnen, mit dem abzugleichen, was ich bisher vom Vietnamkrieg wusste. Es ist nicht einfach, denn Geschichte ist immer auch die Geschichte der Kriegsgewinner, nicht der Verlierer, ist immer auch Propaganda. Im Museum fehlt das Kapitel, was nach der Machtergreifung durch die Kommunisten geschah, die Massenerschiessungen, die Foltergefängnisse. Trotzdem fuehle ich in diesem Moment nur Abscheu fuer das, was die Amerikaner diesem Land angetan haben. Ich brauche jetzt etwas Ruhe, muss nachdenken, abschalten.
Da fragt mich ein Vietnamese, ob er mich auf dem Moped mitnehmen soll. Ich winke dankbar ab, sage ihm, dass ich gerade aus dem Museum komme, etwas Ruhe brauche. Er fragt nach, ich erzähle ihm meine Eindrücke. Plötzlich sagt er: „Fuck the Americans!“ Er habe vieler seiner Angehörigen im Krieg verloren, er hasse die Amerikaner für das, was sie seiner Familie angetan hätten.
Er kommt in Fahrt, wir reden eine Weile, das tut gut. Und wie andere Vietnamesen, so sagt auch er mir, dass seine Landsleute die Amerikaner gut behandeln, weil sie viel Geld ins Land bringen. Opportunismus schlägt Stolz, denke ich und grusel mich. Andererseits durften die Vietnamesen nie frei leben, standen fast immer unter Fremd- und/oder Gewaltherrschaft, überlebt haben vor allem die, die sich gut anpassen konnten – warum sollte das heute anders sein. Und wenn die Armut drückt, ist es wohl egal, von wo das Geld kommt, denke ich, eine ziemlich entwürdigende Situation.