Archiv | Februar, 2012

Verschlafenes Suedostasien

29 Feb

Drei Monate waren wir in Suedostasien unterwegs. Jetzt heisst es Abschied nehmen, vorerst, denn eins steht fest, wir werden wiederkommen, in dieses Paradies mit seinen traumhaften Straenden, kleinen Inseln und leckeren Suppenkuechen. Viel haben wir erlebt, viel werden wir vermissen. Nicht zuletzt die wunderbare Eigenschaft seiner Einwohner, jederzeit ein Nickerchen machen zu koennen, wenn die Aufmerksamkeit mal nicht gefordert sein sollte. Egal wo. Gesellschaftlich ist das nicht nur geduldet, es ist Konsens, jeder macht das hier so. Kein Wunder, dass die meisten Suedostasiaten ziemlich entspannte Typen sind. Mal sehen, wie die Neuseelaender drauf sind, die wir auf unserer Reise als naechste besuchen.

Kleinkind auf einem Marktwagen in Saigon.

Haendlerin in Luang Prabang.

Bevor er seine mobile Suppenkueche in der Naehe von Chiang Mai aufbaut, ruht dieser Mann noch ein wenig.

Wenn gerade kein Gepaeck verschnuert werden muss, nutzt dieser Junge in Luang Prabang die Ruhe auf dem Dach zum Schlafen.

Gerade nix zu tun in dieser Werkstatt in Bangkok...

...auch dieser Tuk-Tuk-Fahrer in Vang Vieng wartet noch auf Kunden.

Tauchangst

26 Feb

So aufgeregt wie an diesem Tag war ich schon lange nicht mehr. Mit Flossen, Taucherbrille und Gasflasche will ich eine neue Welt kennenlernen, will die Similan Islands bei Khao Lak erkunden, die tuerkisfarbene Unterwasserwelt der geschuetzten Inselwelt in der Andamanensee. Allerdings sind es weniger die seltenen Korallen oder bunten Fische wegen denen ich aufgeregt bin, auch nicht die riesigen Mantarochen oder kleinen Riffhaie, die es hier geben soll. Ich bin aufgeregt, weil ich an diesem Tag zum ersten Mal unter Wasser atmen muss.

Zwar bin ich gerne im Wasser, aber nicht gerne unter Wasser. Wenn mein Kopf eintaucht, dann immer nur fuer ein paar Sekunden. Schnorcheln oder gar Tauchen habe ich immer vermieden. Seit einem Kopfsprung vom Dreimeterbrett im Sportunterricht der achten Klasse habe ich diese merkwuerdige Angst. Damals bin ich so ungluecklich aufgeschlagen und habe so viel Wasser geschluckt, dass ich danach erstmal genug von jedem Kopf-unter-Wasser-Experiment hatte.

Und jetzt stehe ich neben der Reling am Heck der Yacht, will springen, meine Angst herausfordern, sie ueberwinden, hinter mir lassen, endlich wieder leicht und unbeschwert im Wasser sein, wie damals als Kind. Mein Herz rast. Mein Koerper pocht. Ich atme schnell und unruhig. Der hautenge Neoprenanzug nimmt mir die Luft. Die Senkgewichte, der Atemautomat und die Sauerstoffflasche ziehen an meinem Oberkoerper. Bei jedem Atemzug rasseln und zischen Schlaeuche und Ventile. Durch die halbbeschlagene Taucherbrille sehe ich den Horizont – oben den Himmel, unten die Wasseroberflaeche. Ich mache einen Schritt nach vorne und lasse mich fallen.

Luftblasen wirbeln vor meinen Augen, kleine Lichtstrahlen blitzen, es gurgelt und gluckert um mich herum. Nach zwei Atemzuegen tauche ich auf, gluecklich, diesen ersten Schritt gemacht zu haben. Mein Tauchlehrer ist Xavier aus Spanien, ein extrem sympathischer und ziemlich entspannter Typ. Mit Ruhe und Gelassenheit ueben wir die weiteren Schritte, und es dauert, bis ich zum ersten Mal fuer mehrere Minuten unter Wasser bleiben kann.

Es ist ein Kampf mit mir selbst. Aber dann platzt er ploetzlich, der sprichwoertliche Knoten, ich werde ruhig, atme gleichmaessig, geniesse zum ersten Mal die Unterwasserwelt. Auch die Uebungen gelingen mir, wie zum Beispiel das Mundstueck waehrend des Tauchens rausnehmen, treiben lassen, einfangen, zurueck in den Mund stecken, freipusten und weiter atmen. „Mach es wie im Schlaf“, hatte mir Xavier vorher gesagt, „langsam ein und wieder ausatmen, flach atmen, nicht zu viel Luft“. Langsam sinkt mein Koerper tiefer. Das Wasser wird kuehler.

Mehr als eine halbe Stunde tauche ich mit Xavier in acht Metern Tiefe durch die Korallen- und Felslandschaft der Similan Islands. Grosse bunte Fische schwimmen um uns herum, gelb, gruen, rot leuchten ihre Koerper im tiefblauen Meer. Manchmal kommen sie ganz nah, gucken, beaeugen diesen seltsamen Riesenfisch, der da so ungeschickt durch ihr Reveir treibt. Solange meine Luftblasen gleichmaessig Richtung Oberflaeche gluggern, ist alles gut, denke ich und bin zufrieden mit mir. Ich atme unter Wasser, frei von Angst. Ich grinse Xavier durch meine Taucherbrille an, er versteht, grinst zurueck, wir schlagen ein und schwimmen noch ein Stueck.

Kurz vor dem Sprung in die Andamanensee.

Der erste Schritt ist gemacht.

Neben meinem wunderbaren Tauchlehrer Xavier stehe ich gluecklich und geschafft nach dem ersten Mal Scuba-Diving!

Yoga Retreat

24 Feb

Nach den vielen Eindrücken der Reise, den endlosen Busfahrten, dem ständigen Ein-und Auspacken, den vielen vielen Menschen und den hektischen Städten, bin ich absolut reif für die Insel. Im Internet finde ich ein Yoga Retreat auf der kleinen Insel Koh Yao Noi im Süden von Thailand. Das ist genau das, was ich jetzt brauche.

Zwei Wochen später komme ich mit einem kleinen Boot auf der Insel an. Uwe, der nach dem Aschram in Indien genug vom Yoga hat, ist auf eine andere Insel zum Thaiboxen gefahren. Der Abschied war nach vier Monaten Zweisamkeit komisch. Jetzt ist jeder auf sich gestellt.

Die Insel gefällt mir sofort. Koh Yao Noi zählt zu den wenigen „Virgin Islands“ der Region, da es hier noch keinen Massentourismus gibt. Abgesehen von einer handvoll kleiner Bungalowanlagen, ist es sehr ursprünglich und ruhig. Die Inselbewohner sind überwiegend muslimisch und leben von Fischfang und Landwirtschaft. Als Tourist fällt man auf und wird überall freundlich gegrüsst oder sogar ein Teil des Weges auf dem Roller mitgenommen. Türen, Roller und Räder werden grundsätzlich nicht abgeschlossen. Hier kennt jeder jeden.

Das Yoga Camp übertrifft meine Erwartungen. Eine kleine Anlage mitten in der Natur. Es gibt ein paar Bungalows, die verstreut auf dem Gelände stehen und eine größere Hütte, die als Restaurant und als eine Art Gemeinschaftsraum genutzt wird. Der Yogaraum ist nach allen Seiten offen, und man kann aufs Meer oder in die Palmen schauen. Zweimal am Tag gibt es Unterricht, bei einem der insgesamt vier Yogalehrer. Das Abenteuer kann beginnen.

Die Leute hier sind zum Glück weniger spirituell als gedacht, und nach kurzer Zeit habe ich mich eingelebt. Eigentlich war es mein Plan, mal Zeit für mich zu haben, doch das klappt nur selten. Es gibt einfach so viele interessante Menschen hier, die ich kennenlernen möchte. Die Gruppe besteht – ganz klischeehaft – fast nur aus Frauen. Da gibt es zum Beispiel eine Dänin, überzeugte Rohkostlerin und Extremsportlerin, mit der ich viel Zeit verbringe. Oder Padmini, eine indischstämmige Amerikanerin, die mit 31 Jahren  ihre Ehe und ihr Jetset-Leben in Miami hinter sich gelassen hat und jetzt in Bangkok einen Neustart wagt. Das Yoga Retreat ist ihr erster Urlaub ausserhalb eines Fünf-Sterne-Ressorts, und wie sie sagt, ihr bester. Daneben gibt’s hier Schauspielerinnen, Weltenbummlerinnen und Sinnsucherinnen. Die Gruppe wird durch Eugene aber erst richtig vollständig. Er ist ein schwuler Radiomoderator aus Estland, der im Yogaunterricht mit spontanen Tanzeinlagen glänzt und für viel Abwechslung sorgt. Ich fühle mich absolut wohl in dieser Gesellschaft.

Nach ein paar Tagen habe ich eine Art Alltagsroutine entwickelt. Nach dem Yoga und Frühstück gehe ich durch die üppige Natur an einen der einsamen Sandstrände. Hier lese ich und geniesse den Blick auf das türkisfarbene Wasser und die beeindruckende Karstlandschaft. Mittags treffe ich mich mit ein paar Leuten zum Essen, bevor die zweite Yogaeinheit losgeht. Abends sitzen wir in grosser Runde in einem nahe gelegenen Restaurant. Danach falle ich müde und zufrieden ins Bett.

Nach zehn Tagen bin ich super beweglich und entspannt. Durch die Yogakurse, die Meditation und die tollen Gespräche habe ich viele neue Ideen bekommen.

Morgens um 7.30 Uhr - das erste Mal Yoga und Meditation.

Foto-Session mit Naomi aus London und Emily aus den USA.

Blick von unserem Lieblingsrestaurant auf das Meer.

Eines der vielen Abendessen mit den Mädels.

Für mich der schönste Strand der Insel mit Blick auf die Karstlandschaft.

Meine Lieblingsschaukel am Strand.

Angkor

7 Feb

Eigentlich wollten wir Kambodscha auslassen. Die Zeit war einfach zu knapp geworden. Dann sind wir doch hingefahren, nicht zuletzt, weil uns Christoph, ein Deutscher, den wir in Saigon getroffen haben, dermaßen von den alten Tempelanlagen vorschwärmte, dass wir gar nicht mehr anders konnten. Er habe schon viel gesehen an historischen Anlagen, sagte er, aber so etwas wie die Tempelanlagen von Angkor habe er sonst nirgendwo zu Gesicht bekommen. Zum Glück sind wir hingefahren.

Angkor war das Herzstück des früheren Khmer-Königreichs. Auf einer Fläche von rund 200 Quadratkilometern (!) haben verschiedene Khmer-Könige riesige Tempelanlagen errichten lassen, um ihrer Macht Ausdruck zu verleihen. Dabei versuchte ein König die vorangegangenen zu übertrumpfen. Oft mussten Tausende Sklaven Jahrzehnte lang schuften, um die Anlagen mitten im Dschungel zu errichten. Mehr als 1000 verschiedene Anlagen sollen bisher entdeckt worden sein – das Besondere: Viele der Tempel sind mehr als 1000 Jahre alt und ziemlich gut erhalten.

Wir suchen uns ein Tuk-Tuk samt Fahrer und nehmen uns drei Tage Zeit, um Angkor zu entdecken. Und obwohl wir beide keine grossen Freunde alter Ruinen sind, schwärmen auch wir seit dieser Zeit von Angkor.

Den Tempel "Ta Prohm" erreichen wir im Morgengrauen...

...und sind um diese frühe Stunde fast die einzigen Besucher - ein Tipp unseres Tuk-Tuk-Fahrers. Tausende von Vögeln sitzen auf den riesigen Bäumen und singen, Affen kreischen tief im Urwald, die Wildnis erwacht, ein bewegender, fast spiritueller Moment, ein wunderschöner Tagtraum, aus dem wir nach etwa einer halben Stunde gerissen werden, als die erste asiatische Reisegruppe lautstark eintrifft.

Vom legendären "Angkor Wat" sind wir dagegen fast etwas enttäuscht. Andere Anlagen finden wir da deutlich spannender...

...zum Beispiel "Angkor Thom", nur wenige Hundert Meter weiter. Vier Gesichtertürme ragen über dem Eingangsportal hoch in den Himmel. Jedes der Steingesichter guckt in eine andere Himmelsrichtung und bewacht die Anlage...

...zu der auch der Haupttempel "Bayon" gehört, der ein bisschen wie eine nicht fertig gebaute Lego-Burg aussieht. Ein beeindruckendes Bauwerk...

...in dem sich geschäftstüchtige Thai-Frauen als Tempeltänzerinnen verkleiden und gegen Geld jeden für ein Erinnerungsfoto in ihre Mitte nehmen.

Der kleinere Tempel "Banteay Samre" stammt aus der selben Epoche wie Angkor Wat, ist aber kaum bekannt. Kurz vor Ende der Besichtigungszeit kommen wir hier an und können den Sonnenuntergang in den alten Gemäuern genießen.

Wieder ganz anders ist "Pre Rup" - der Tempel wurde noch vor Angkor Wat errichtet und war im 10. Jahrhundert die wichtigste Anlage in Angkor. Das Besondere: Alles hier ist aus rötlichem Sandstein.

Foltergefängnis

2 Feb

Es hört sich schrecklich an, was da in den Mauern eines alten Gymnasiums mitten in Phnom Penh vor rund 40 Jahren passierte. Die Roten Khmer hatten die Macht in Kambodscha übernommen, und hier, in einer eher ruhigen Wohngegend der Hauptstadt, richteten sie ihr berüchtigtes Foltergefängnis „S-21“ für (vermeintlich) politische Gegner ein. In nicht einmal vier Jahren steckten die Steinzeit-Kommunisten zwischen 14.000 und 20.000 Personen in die engen Zellen, die sie in den ehemaligen Klassenräumen einrichteten. Nach der Befreiung durch vietnamesische Truppen überlebten gerade einmal sieben Personen die Folgen der Haft.

Will ich das wirklich sehen? Nach Vietnam und seinen Kriegsmuseen ist mir eher nach leicht verdaulichem Sightseeing zumute. Andererseits habe ich schon einiges über die Zeit der Roten Khmer gelesen, war gefesselt vom Ungeheuerlichen, vom Unfassbaren dieser Zeit, und nun sind wir vor Ort – wer weiss, wann sich diese Gelegenheit noch einmal ergibt. Ich entscheide mich schließlich für den Besuch von S-21, das heute ein Genozid-Museum ist. Line kommt mit.

Die Originalfotos geschändeter Körper, die an einigen Wänden hängen, sind kaum zu ertragen. Wir wenden uns ab, konzentrieren uns auf das, was noch vorhanden ist, auf die Architektur des Terrors, die Logistik der Menschenvernichtung, wir wollen uns nicht gruseln, wir wollen verstehen, wollen nachzuvollziehen, was hier in den 70er-Jahren geschehen ist.

In diesen Tagen muss sich der ehemalige Leiter des Foltergefängnisses „Genosse Duch“ vor einem Völkermord-Tribunal verantworten und wird exakt einen Tag nach unserem S-21-Besuch zu lebenslanger Haft verurteilt. Der heute fast 70-Jährige war jahrelang untergetaucht, lebte mit falschem Namen im Ausland und soll unter anderem für eine kirchliche Hilfsorganisation gearbeitet haben. Vor mehr als zehn Jahren wurde Duch dann identifiziert und festgenommen. Seitdem steht er im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit.

Zeitgleich sitzt ein hagerer Mann im Innenhof des ehemaligen Foltergefängnisses. Vor ihm liegen Bücher, darin seine Geschichte. Er ist einer der sieben Überlebenden, fast regungslos sitzt er auf seinem Stuhl und lächelt, wenn einer der Besucher anhält. Ausser dem Verkauf seiner Leidensgeschichte ist ihm nicht viel zum Überleben geblieben.

Verhörzelle - der Gefangene war meist mit Eisenketten an ein Bettgestell gefesselt und wurde mit brutalsten Methoden zum Sprechen gebracht...

...für sein menschliches Bedürfnis blieb ihm nur eine alte Munitionsbox.

Spuren an der Zellenwand.

Blick in den Innenhof des ehemaligen Gefängnis S-21: Die Gebäude wurden mit Stacheldraht verhängt, sodass sich kein Insasse zu Tode stürzen konnte.

An diesem Balken wurden die Gefangenen hochgezogen. Das Seil war nur an den auf dem Rücken zusammengebundenen Händen festgemacht. Wer dabei ohnmächtig wurde, den tauchten die Folterknechte in einen der drei Wasserkrüge. Erlangte der Gefangene wieder das Bewusstsein, ging die Prozedur von vorne los.

Viele Knochen konnten bis heute nicht zugeordnet werden.

Foto des ehemaligen Gefängnisleiters "Duch" vor dem Völkermord-Tribunal in Phnom Penh: Bei seinem Anblick konnten sich einige der Besucher nicht zurückhalten.