Kerala

30 Okt

Die ersten Tage kommen wir bei Kumar in Fort Kochi unter – ein Tipp von zwei Londonern, die wir in Goa getroffen haben. Ein ziemlich guter Tipp. Kumar ist 26 Jahre alt, umtriebig, neugierig, charmant. und vor allem eins: Ueberlebenskuenstler – wie so viele junge Inder. Nach einer Pleite als Ladenbesitzer versucht er nun sein Glueck als Herbergsvater. Von Bekannten mietete er ein Haus, von Freunden bekam er Betten, Tische und Schraenke.

Drei Doppelzimmer vermietet er heute in der Stadtvilla an Touristen und Backpacker, inklusive Wohnzimmer, Balkon und Kueche fuer alle. Die kleinen Privatpensionen nennen sich „Home Stay“ und sollen demnaechst verboten werden, sagt Kumar, es gebe mittlerweile zu viele, die grossen Hotels haetten geklagt, wuerden um ihre Kunden fuerchten. Noch sei der Ausgang ungewiss, aber wenn das Verbot komme, werde er halt etwas Neues probieren. Respekt!

Wir haben es immer wieder festgestellt, im Gegensatz zu Deutschland scheint sich in Indien kaum jemand mit Zukunftsaengsten zu plagen, in diesem Schwellenland ohne Sozialsystem, mit seinen wenigen reichen und vielen armen Menschen. Kumar gehoert zur kleinen Mittelschicht, zu den aufstrebenden jungen Indern, die fliessend Englisch sprechen, den westlichen Lifestyle lieben und von einer freieren Gesellschaft traeumen, ohne Kastenwesen, ohne Pruederie.

Viel Zeit zum Traeumen bleibt aber nicht, Kumar muss sein „Business“ am Laufen halten, immer gibt’s was zu regeln. Seit der Vater sich davon gemacht hat, sorgt er, der 26-Jaehrige, der aelteste Sohn, fuer seine Mutter und die drei juengeren Geschwister. Und er sieht dabei alles andere als besorgt aus. Irgendwie gehe es immer weiter, sagt er, Angst habe er keine vor der Zukunft. Ach, haetten wir doch auch ein paar mehr Kumars in Deutschland.

Aschram

Spirituelles Indien. Es gibt kaum ein Land, in dem so viele Menschen nach dem Sinn des Lebens, Spiritualitaet, Erleuchtung und vor allem sich selbst suchen. Ein Besuch in einem Meditationszentrum oder Aschram ist deshalb meist Programm. Auch ich bin neugierig, was es mit dem Ashram auf sich hat, und vor allem bin ich heiss auf Yoga. Unser naechstes Ziel ist daher der Sivananda Aschram in Kerala.

Das Buch von Elizabeth Gilbert „Eat, Love, Pray“ hat mein romantisches Bild von einem Aschram gepraegt: Eine Oase der Ruhe und Entspannung. Zu sich kommen, nachdenken, meditieren, Yoga. Eben ein besserer Mensch werden. Pustekuchen. Der Aufenthalt wird wie so vieles in Indien: ueberraschend anders.

Schon unsere Ankunft beginnt stressig. Die Begruessung nach unserem sehr langen und anstrengenden Reisetag faellt alles andere als nett aus. Es ist „nur“ eine halbe Stunde Zeit bis die Rezeption schliesst, keine Zeit fuer Freundlichkeiten, keine zeitliche Verzoegerung ist gestattet. Wir arbeiten uns durch die vielen Aschramregeln, die wir im Anschluss unterzeichnen muessen, leihen Yogamatten und kaufen eine Yogahose fuer Uwe. Daneben werden wir im strengen Ton darueber aufgeklaert, dass unsere Reisekleidung hier „unsittlich“ ist. Zeit zum Kleiderwechseln bleibt uns an diesem ersten Abend aber nicht. Erschoepft sinken wir in die getrennten Betten – Zoelibat ist Pflicht – in unserer spartanisch eingerichteten Zelle.

In den naechsten Tagen daemmert uns – wir sind nicht hier, um zu uns zu kommen, sondern den Weg zu Vishnu Sivananda, unserem Guru, zu finden. Aha. Und was ist, wenn wir das gar nicht wollen? Befremdet und gespannt beobachten wir, wie sich morgens und abends die vielen Suchenden vor den Gurustatuen auf die Knie werfen, voller Inbrunst Hare-Krishna-Lieder singen, erwartungsvoll die Feuersegnung empfangen. Alle „Abweichler“  – also wir – werden mit abwertenden Blicken betrachtet. Komisches Gefuehl.

Zeit zum Nachfragen und Diskutieren gibt es nicht. Der Tag ist eng getaktet. Es beginnt mit dem Weckruf um 5 Uhr morgens und endet puenklich um 22 Uhr. Die Stunden dazwischen sind ausgefuellt mit Singen, Meditation, Yoga, Dienst an der Gemeinschaft und Lektionen ueber die Lehre von Sivananda. Sich seinen eigenen Freiraum zu schaffen ist auesserst schwierig. Anwesenheit ist an allen Veranstaltungen Pflicht. Das wird mit Anwesenheitslisten kontrolliert. Zu den Meditationszeiten wird an die Tuer geklopft. Es gibt kaum ein Entrinnen. Auf kritische Nachfragen von Zweiflern reagiert der Direktor des Ahrams empfindlich. Seine Wahrheit ist die einzige Wahrheit. Ist doch wohl klar.

Nach ein paar Tagen zeigen wir erste Muedigkeitserscheinungen und haben immer mehr Fragezeichen. Zum Glueck treffen wir einige Gleichgesinnte, schwaenzen heimlich einige Lektionen, fuehlen uns in Schulzeiten zurueckversetzt. Der gute Yogaunterricht ist das einzige, was mich letztlich eine Woche bleiben laesst. Dann beschliessen wir – Es reicht! Wir kehren dem Aschram und der Glaubensgemeinschaft den Ruecken und fuehlen uns befreit. So ist es also zu sich zu finden. Ommm.

Einer der beiden (toten) Gurus, die wir anbeten sollten: Swami Sivananda..

..und der andere: Swami Vishnu-devananda.

 

Taegliche Yogastunde im Aschram.

 

Essen - nur auf dem Boden, ohne Besteck und schweigend.

 

Unser Kaemmerchen.

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